Geliebte Alpen
Lindau (Bodensee) –Nicht erst im Herbst beginnt die Wandersaison. Und doch zieht es gerade zu dieser Jahreszeit viele Menschen in die Alpen. Das Heimatkundliche Dokumentationszentrum des Landkreises Lindau hält eine breite Palette an Literatur zu den Alpen bereit. Tobias Schuhwerk, Buchautor und Chefreporter der Allgäuer Zeitung, freut sich drüber. Berge haben für ihn eine besondere Bedeutung: In seinem ersten Buch „Nüüf“ (Hinauf) beschreibt er den Mythos und Faszination Alpwirtschaft im Allgäu am Beispiel eines Alphirten. Für sein neues Buch „Frianar“ (Früher) hat er teils hochbetagte Bergbäuerinnen besucht und bewegende Geschichten aus ihren Leben festgehalten. Für seine Recherchen greift der gebürtige Kemptener immer wieder auf historische Quellen zurück, wie es sie im Dokumentationszentrum gibt.
„Bergstürze in den Allgäuer Alpen“ lautet der Titel eines Aufsatzes von Georg Frey. Thaddäus Steiner beschäftigt sich mit dem Thema „Das Alter der Allgäuer Alpwirtschaft nach Aussage der Alpnamen“. Weitere Aspekte: „Alpwirtschaft. Die Entstehung unserer Kulturlandschaft im Alpenraum“ von Peter Nowotny, „Die transalpinen Verbindungen der Bayern, Alemannen und Franken bis zum 10. Jahrhundert“ von Helmut Beumann und Werner Schröder (Herausgeber), „Der Alpenrhein und seine Regulierung. Internationale Rheinregulierung 1892-1992“ oder beispielsweise „Hoch- und Spätmittelalter zwischen Alpen und Bodensee“ von Wolfgang Hartung und Alois Niederstätter. Und: Schon 1937 stellte Georg Frey die Frage: „Was bedeuten uns die Berge heute? Ein Beitrag zum Naturschutz in den Alpen.“
Alfred Pohler beispielsweise beschäftigt sich in seinem Buch „Flurdenkmäler“ mit „Perlen in den Kulturlandschaften des alpinen Raums“. Darin thematisiert er Bildstöcke, Marteln, Kleinkapellen, Kreuze – und Gipfelkreuze. Zudem gibt es Literatur zur Pflanzenwelt der Alpen. Da passt es gut, dass der Geburtsort des bekannten Botanikers Prof. Karl Hummer (1902 – 1987) in Weiler ist und auch von ihm Unterlagen im Heimatkundlichen Dokumentationszentrum erhalten sind.
Im Vergleich zu anderen Gebirgen reicht die Geschichte der Alpen gar nicht so weit zurück: Sie sind vor 290 bis 35 Millionen Jahre entstanden. Erst um 6500 v. Chr. wurden die ersten Menschen am Alpenrand sesshaft.
Zwar beginnt mit der Eroberung der Römer auch die verkehrsmäßige Erschließung der Alpen. Doch der römische Geograph und Historiker Strabon (63 v.Chr. – 23 n. Chr.) hält fest: „Aber nicht überall ist es möglich, durch Felsen und ungeheure Bergwände hindurch die Natur zu überwinden, die den Weg teils überragen, teils unter ihm abfallen, so dass auch nur wenige Fehltretende unvermeidlich Gefahr laufen, in bodenlose Abgründe hinabzustürzen. Denn der Weg ist dort bisweilen so schmal, dass der Fußgänger selbst und den damit vertrauten Saumtieren Schwindel verursacht.“
„Es bedurfte einer langen geistigen Vorbereitungszeit, um die bestehenden Vorurteile gegenüber dem Hochgebirge abzubauen. Denn noch bis tief in die Neuzeit hinein verbreiteten die Alpen den Menschen Furcht und Schrecken“, schreibt Karl-Heinz Burmeister, 1971 bis 2001 Direktor des Vorarlberger Landesarchivs, in einem Aufsatz mit dem Titel „Die Anfänge des Alpinismus in Vorarlberg mit Ausblick auf die Nachbarländer“. Burmeister sieht die Wurzeln der „psychologischen Barriere zwischen Mensch und Berg“ nicht allein in der Natur, sondern auch in der Religion. „Es hat den Anschein, dass gerade die Vorstellung vom Berg als Sitz des Teufels noch im Spätmittelalter vorherrschend gewesen ist. Als Papst Johannes XXIII. 1414 auf dem Weg zum Konstanzer Konzil auf dem Arlberg mit seinem Wagen im Schnee umstürzt, ruft er aus: „Ich liege hier im Namen des Teufels.“
Über Jahrhunderte herrscht das Schreckensbild der Alpen vor. Unglücke wie der Lawinenabgang am 13. Dezember 1536, der am Gotthard sieben Männer begräbt, bestätigen es: Unter den Getöteten ist ein Mailänder Kaufmann, der den Überlieferungen zufolge 2000 Kronen bei sich gehabt haben soll. Zudem finden 26 Pferde bei dem Unglück den Tod.
Doch schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts war das Bergsteigen „keinesfalls mehr eine Ausnahmeerscheinung“, wie Burmeister betont. Als Konrad Gessner am 20. August 1555 den Pilatus, den 2128 Meter hohen Hausberg von Luzern, besteigt, schickt ihm die Stadt Luzern einen offenbar ortskundigen Boten mit, damit er nicht vom gangbaren Aufstiegsweg abkommt. Gessner entdeckt auf dem Gipfel die Namen von Bergsteigern und einige Stammes- und Familienwappen, allesamt in den Fels gehauen – quasi Vorläufer des Gipfelbuchs. Trotzdem ließ der Luzerner Rat bis ins ausgehende 16. Jahrhundert die Sennen einen jährlichen Eid schwören, niemand auf den sonst verbotenen Pilatus hinaufzuführen.“ Neben ihrer Aufgabe, die ihnen anvertrauten Tiere zu versorgen und auf sie zu achten, mussten sie auch wilde Tiere abwehren und schon deshalb in das weglose Hochgebirge vordringen.
Als Geburtsstunde des Alpinismus datieren Fachleute allerdings die Erstbesteigung der Schesaplana (2964 Meter) im August 1610 durch Hauptmann David Pappus von Tratzberg. Zuvor hat er schon die Rote Wand (2704 Meter) bezwungen. Auf diesen und anderen Expeditionen ließ er sich teilweise von Bergführern unterstützen.
Amtleute des Lindauer Stifts waren 1725 und 1726 in den Alpen im Bregenzerwald unterwegs. Dort verirrten sich die Städter offenbar bisweilen – und waren über die Hilfe von Einheimischen froh. Und so erschien ihnen der Bregenzerwald als „das Land Canaan“, da Milch, Butter, Käse und Honig floss.
Schon im 19. Jahrhundert sind Gipfelbücher weit verbreitet, die oft in Steinpyramiden aufbewahrt werden.
Und heute? „Spektakulärer geht es kaum‘“, heißt es auf dem Online-Portal Komoot. 5196 Touren empfiehlt allein dieses Portal in den Allgäuer Alpen, der Herbst gilt als prädestiniert für stabiles Wetter und leuchtende Farben. „Beim Wandern in den Allgäuer Alpen werden selbst die höchsten Ansprüche erfüllt“, lautet ein Versprechen. Als erfahrener Wanderer könne man traumhafte Gipfel erklimmen. Bevorzuge man gemütliche Wanderungen, werde man „in den sanften Hügeln der Täler glücklich. Kommst du mit der ganzen Familie, könnt ihr euch in den vielen Bächen und Seen der Voralpenlandschaft austoben“.
Wen es jetzt im besten Fall zunächst ins Heimatkundliche Dokumentationszentrum und dann in die Berge zieht, dem sei noch mit auf den Weg gegeben: Weil für viele erst nach einem Besuch einer Alpe eine Bergtour perfekt ist, soll noch eine Allgäuer Alpe mit langer Geschichte erwähnt werden, die gut zu Fuß erreichbar ist: die 1151 Meter hoch gelegene Sennalpe Breitengehren nahe Oberstdorf im Rappenalptal. Das denkmalgeschützte Gebäude aus dem 17. Jahrhundert wurde innen von 2017 bis 2019 renoviert. Der Stall und die Nebengebäude dagegen sind neu und sehr modern. Manfred Kurrle, ein gebürtiger Stuttgarter, der schon viele Jahre im Allgäu lebt, hat die Stiftung Allgäuer Hochalpen gegründet und diese Alpe und andere restauriert.
Im Landkreis Lindau gibt es zwei Alpen: die Königsalpe in Wolfried-Trabers bei Stiefenhofen und die Bergwies Biokäserei, Stockach 3 in Maierhöfen. Die Königsalpe ist seit 1916 im Besitz der Allgäuer Herdenbuchgesellschaft (AHG) Kempten. Zur Alpe gehört eine schmucke Kapelle, die 1934 von der AHG erbaut wurde. Seit 1987 bewirtschaftet Familie Keck die Königsalpe. Von 27 verschiedenen Bauern, welche Mitglied der AHG sind, werden vom Mitte Mai bis Ende September mehr als 300 Jungrinder sowie die Familie Keck gehörenden Haflinger auf den dazugehörigen Weiden geälpt. Sitzt man vor der Hütte, kann man seinen Blick über grüne Weiden und Wälder des Allgaeuer Voralpenlandes bis zur Salmaser-und Kalzhofer Höhe schweifen lassen.
Die Bergwies Bio-Käserei mit Erlebnisbauernhof wird seit Mai 2014 von Gundi Sontheim geführt. Unterstützung erhält Sie von Ehemann Ludwig und den Söhnen Moritz und Max. In der Käserei wird frische Bio-Milch zu Käsespezialitäten verarbeitet. Zudem gibt es auf der Sonnenterrasse mit Blick auf die umliegenden Streuobstwiesen Speisen mit regionalen Zutaten sowie hausgemachte Kuchen und Torten.
Auf der tierischen Seite gehören rund 25 Kühe sowie Schweine zum Hof; diese werden mit der beim Käsen anfallenden Molke gefüttert. Der Apfelsaft wird aus den Früchten der eigenen Streuobstwiesen gepresst.
„Es ist uns ein Anliegen, dass die biologische Landwirtschaft – mit Kühen, Schweinen, Pferden und später Kälbchen, Hühnern und Schafen sowie Streuobstwiesen – den Besuchern verständlich und anschaulich erklärt wird“, heißt es auf der Alpe.
